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Warum wir Geschichten brauchen

Es droht der KI-tsch

Bedeutet die Anwendung von künstlicher Intelligenz das Ende des menschengemachten Storytellings? Der Theaterregisseur und Drehbuchautor Felix Benesch sieht ein neues Genre auf uns zukommen: den KI-tsch. Der Siegeszug von künstlicher Intelligenz werde zu einer Flut von Kitsch führen, zu einem Meer von Stereotypen. Aber vielleicht ist er auch eine Chance für eine neue, radikale Subjektivität in der Kunst.

Von Felix Benesch

Leipzig, 21.09.2023

7 min

Bis vor kurzem dachte ich noch, das wird schon nicht so schnell gehen. Mir wird genügend Zeit bleiben, mich auf die Veränderungen einzustellen. Doch als ich kürzlich im Büro eines Produzenten sass und beim Kaffee über ein mögliches Projekt sprach, war es plötzlich Fakt: «Ich habe diese Grundidee zum Spass mal bei Chat-GPT eingegeben und mir ein paar Vorschläge machen lassen », sagte er mit vielsagendem Grinsen. «Ich muss sagen: Das war interessant. Gar nicht schlecht!»

Schwacher Trost: Es handelte sich nicht um die allgemein zugängliche Open-AI-Version. Dieses Tool soll kostenpflichtig gewesen sein, immerhin 20 Franken im Monat. Das ist mindestens 100 Mal weniger als ein:e Autor:in kostet.

Es ist nicht ganz gratis. Wenigstens etwas.

Von anderer Seite wurde mir erzählt, dass eine Produktionsfirma in Deutschland überhaupt keine Ideen von Autoren mehr annimmt.

Die Produzentinnen füttern stattdessen die KI so lange, bis da eine Ideenskizze steht, die ihnen gefällt.

Damit treten sie dann gezielt an eine Kollegin oder einen Kollegen heran und beauftragen sie/ihn mit der Ausarbeitung. Die Urheberrechte werden womöglich geteilt. Ad absurdum geführt werden sie auf jeden Fall.

In Hollywood streiken die Autoren seit über vier Monaten. Neben finanziellen Belangen ist eine ihrer zentralen Forderungen, dass der Umgang mit künstlicher Intelligenz geregelt wird. Einigung ist noch keine in Sicht. Um dem Stillstand zu begegnen, haben Einzelne damit begonnen, persönlich mit den Studios zu verhandeln.

Mich erreichen auch immer wieder Mails mit Angeboten für Kurse, in denen es um den Umgang mit und die Potentiale von künstlicher Intelligenz im Alltag eines Drehbuchautors geht. Bis jetzt habe ich noch keinen besucht.

Aber unter meinesgleichen ist das immer wieder Thema. Früher haben wir uns leidenschaftlich über Ideen ausgetauscht. Jetzt fragen wir uns, was der Einsatz von künstlicher Intelligenz für uns und das Erzählen von Geschichten wohl bedeutet.

Reite die Welle, oder geh unter

Wie wird sich unser Beruf verändern? Wie unsere Geschichten? Braucht es in naher Zukunft überhaupt noch Autorinnen und Autoren? Oder können wir KI gewinnbringend für uns nutzen? Besteht sogar die Chance, dass alles besser wird? Wie auch immer, allen ist klar: Wir stecken mitten drin in diesem rasenden Wandel. Wir müssen damit umgehen. Entweder du reitest die Welle, oder du gehst unter.

Es wäre gelogen, wenn ich behauptete, diese Entwicklung würde mich nicht verunsichern. Doch ich bin mir sicher: Es bestehen durchaus Chancen. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz drückt uns nämlich mit der Nase auf DIE zentrale Frage in diesem Zusammenhang: Was unterscheidet uns von der Maschine? Was können wir, was die Maschine nicht kann? Was ist menschlich?

Mir ist klar: Künstliche Intelligenz wird grade von vielen Millionen Usern täglich benutzt und gefüttert. Sie lernt unfassbar viel, entwickelt sich in rasendem Tempo weiter. Sie wird schon übermorgen Dinge können, die heute noch undenkbar sind. Trotzdem gibt es einige Dinge, die sie womöglich nie lernen wird.

Zuallererst sind das die vielen Spielarten von Humor und Ironie.

Chat-GPT versteht kaum je einen Joke, die Anwendung ist deprimierend witzlos.

Sie ist die ins Unendliche vergrösserte Verkörperung des asozialen Klassenstrebers, der zwar auf alle inhaltlichen Fragen eine kluge Antwort weiss, aber bei jedem Witz verschämt schweigt und auf den Boden blickt – oder noch schlimmer: der fast jeden Witz missversteht und sich bei der Lehrerin beschwert.

Humor ist volatil, er verändert sich ständig, ist immer abhängig von der Situation, von vielfältigen Zusammenhängen. Mindestens so wichtig wie die Person, die den Witz erzählt, sind die Empfangenden, diejenigen, an die er gerichtet ist. Humor ist interaktiv und damit doppelt subjektiv. Gute Witze sind ein Fest der differenzierten Beobachtung, der Menschenkenntnis, der Originalität, das heisst: Sie sind Originale.

Humor braucht konkrete Standpunkte, braucht immer ein Subjekt, das auf bestimmte Art sich selber und die Welt betrachtet. Humor ist auch selbstreflexiv. Wer nicht über sich selber lachen kann, hat keinen Humor. Oder allenfalls einen ziemlich schlechten. Wie soll eine Maschine Selbstironie lernen? Dafür fehlt mir die Fantasie. Bestenfalls schafft sie es vielleicht, sowas wie Selbstironie zu imitieren.

Das lässt sich auch auf die Kunst übertragen, sei sie nun literarisch, bildend, filmisch, performativ, musikalisch oder was auch immer.

Kunst ist subjektiv, die Maschine nicht

Vom Flimser Filmemacher Daniel Schmid ist mir folgender Ausspruch in Erinnerung: «Kunst ist immer radikal subjektiv!» Vor dem Hintergrund von KI-generierten Kunstwerken, Erzählungen, Filmen etc. kriegt diese Erkenntnis eine neue, tröstliche Aktualität. Eine Maschine hat keinen Standpunkt, sie wird immer versuchen, möglichst objektiv zu sein. Sie liefert die Schnittmenge von allen verfügbaren Informationen.

So gesehen kann es auch in Zukunft eigentlich nur darum gehen, KI als Hilfsmittel zu benutzen, das uns den einen oder anderen Arbeitsschritt erspart oder erleichtert. Etwas ähnliches fand vor einigen Jahren mit der Einführung von Textverarbeitungsprogrammen statt. Sie haben das Schreiben massiv erleichtert, sozusagen demokratisiert, für alle ermöglicht. Die Arbeit geht uns schneller und leichter von der Hand, aber schreiben und denken müssen wir nach wie vor selber.

Anwendungen von künstlicher Intelligenz schaffen nichts Neues, stattdessen immer neue Variationen dessen, was schon da ist.

Sie imitieren Erzählungen, Bilder, Storys, Musik, Tricks, Strukturen, etc. Dabei sind sie immer nur so gut wie diejenigen, die sie grade bedienen.  Die Zutaten klauen sie sich auf allen Seiten zusammen.

Sicher, darin kann man einen gewaltigen Diebstahl von geistigem Eigentum sehen, denn alles, was Chat-GPT nutzt, hat irgendwann mal ein Urheber oder eine Urheberin geschaffen und unterläge theoretisch dem Urheberrecht. Praktisch lässt sich das wohl kaum je nachweisen.

Maschinen produzieren niemals etwas Künstlerisches. Allerdings könnte der Siegeszug von künstlicher Intelligenz zu einer Flut von Kitsch führen, zu einem Meer von Stereotypen. Ein neues Genre steht in der Tür und verlangt machtvoll Einlass: Der KI-tsch!

Das sich selbst zitierende Monster

Beim Zappen durch das endlose Angebot von Streamingdiensten und Mediatheken kann man nur schwer übersehen, dass das serielle Erzählen längst zu einem sich unablässig selber kopierenden, zitierenden, variierenden Monster geworden ist, das weit weniger Innovation kennt, als es gerne von sich behauptet.

Die optimierten und objektivierten Entwicklungs-Prozesse beim fiktionalen Fernsehen haben längst Vorgänge geschaffen, die dem Einsatz von KI ähnlich sind. Man sucht den objektivierbaren Schnittpunkt, den goldenen Kompromiss. Viel eher als das Besondere sucht man das «Richtige», das Produkt ohne Ecken, Kanten und vor allem: ohne Fehler.

Für viele Kolleginnen und Kollegen könnte das zum Problem werden, denn ein Writers-Room – gerade noch als revolutionäre Entwicklung gefeiert – könnte bald nicht mehr nötig sein. Bei vielen Serien wird das von einer guten, an KI-Anwendungen geschulten Headwriter:in alleine erledigt werden können. Das erspart viel Geld, Zeit – und vor allem Ärger!

Meine Hoffnung ist allerdings, dass auch das Publikum dazu lernt und sich von der industriell gefertigten Konfektionsware abwenden wird. Ganz ehrlich:

Wer will seine Lebenszeit denn mit von Maschinen generiertem Storytelling vergeuden?

Meine Zeit wäre mir für sowas echt zu schade.

Der Einsatz von KI in der Kunst und im Storytelling wird hoffentlich zu einer neuen Sensibilität für das Echte, für das Menschliche, für das unverwechselbare Original führen. Vielleicht gibt es bald einen neuen Boom von Live-Events. Mehr Gemeinschaft, mehr Interaktion, mehr Miteinander – aber auch mehr und radikalere Subjektivität könnten das nächste grosse Ding sein.

Für Letzteres spricht auch der für alle vollkommen überraschende und beispiellose internationale Erfolg der beiden Kinofilme «Barbie» und «Oppenheimer». Beide sind künstlerische Filme mit starken, subjektiven Handschriften von Regie-Persönlichkeiten, die bisher eher in Arthouse-Kinos zu sehen waren.

Wenn die Konsequenz aus der Anwendung von KI so aussieht, dann ist das meiner bescheidenen Meinung nach eine gute Nachricht!