02-odd-beholder-press-2023-img-3114-by-ella-mettler-hires

Musik

Auf Zeitreise mit Odd Beholder

Odd Beholder erzählt mit ihrer Musik Geschichten. In aller Komplexität und Intimität vertont die Musikerin in ihrem dritten Album «Feel Better» das Lebensgefühl von Schweizer Jugendlichen in den 1990er Jahren. «FRIDA Hört Hin» besuchte die Musikerin in ihrem Badener Zuhause und sprach über die Vermischung von Kunstfigur und Autobiografie sowie den Reiz des Teeniealters.

Von Shannon Hughes

Baden, 13.12.2023

6 min


Mit intensiven Blick nimmt Odd Beholder eine knallrote Maske ab. Ihr Kopf steckt im hellrosa Kragen eines riesigen, steifen Sakkos. Eine Hochglanzversion der traditionellen Tschäggättä aus dem Walliser Lötschental trifft auf den unverfälschten Ausdruck der Limmattaler Künstlerin. Die Spannung zwischen den zwei Gesichtern auf dem Albumcover von «Feel Better» ist spürbar. Und es kommen beim Betrachten Fragen auf: Wie lange dauert es, bis sie sich die Maske wieder aufsetzt? In welchem Gesicht steckt mehr Wahrheit? Welche Geschichte verbindet die beiden Gesichter?

Geschichten erzählt Odd Beholder alias Daniela Weinmann (sie/ihr) seit ihrer Kindheit, Musik bringt sie seit sieben Jahren raus. Mit ihrem Elektro-Pop Projekt wurde sie schnell zum Darling der Indielandschaft und tourte national und international. Auch als Aktivistin ist sie in der Musikbranche tätig: Bei Music Declares Emergency Switzerland setzt sie sich für Nachhaltigkeit in der Musikbranche ein und macht auf den politischen Handlungsbedarf bei der Klimakrise aufmerksam. 

FRIDA Hört Hin Audiobeiträge mit Shannon Hughes

FRIDA Hört Hin

«FRIDA Hört Hin» ist dein Ohr für aktuelle Schweizer Musik. Die Szene ist dynamisch, divers und darf ruhig etwas lauter gehört werden. Im Podcast porträtiert Shannon Hughes Musikschaffende und ihre Songs aus allen Genres. Von altbekannten Grössen bis hin zu aufstrebenden Neuentdeckungen, bei FRIDA sind alle zu hören. 

Ihre Diskografie ist so vielfältig wie ihre sonstigen Tätigkeiten. 2016 kam ihr Debüt EP «Lighting» raus, danach folgten die EPs  «Atlas» 2017 und «Remixes» 2018. Zwei Alben hat die Zürcher Musikerin bereits geschaffen:  «All Reality Is Virtual» 2018 und  «Sunny Bay» 2021. Dieses Jahr erschien in Zusammenarbeit mit dem Singer-Songwriter Simon Borer alias Long Tall Jefferson die gemeinsame EP «Lost in Communication»

Die beiden Musiker:innen verbindet nicht nur eine EP, sondern auch ein sehr empfehlenswerter Podcast zum aktuellen Songwriting in der Schweiz namens «Songs und so». Sieben Folgen lang sprachen Simon Borer und Daniela Weinmann mit schillernden Figuren der Schweizer Musikszene wie Leoni Leoni, Manuel Gagneux und Evelinn Trouble über die Kunst des Liederschreibens. 

Für Daniela Weinmann war die Erfahrung, mit verschiedenen Musiker:innen über den Songwriting-Prozess zu sprechen, sehr inspirierend für ihr eigenes Schaffen. Alle Künstler:innen hätten ihre eigenen «Holy Grails» des Songwritings gehabt, die aber alle sehr verschieden waren. So wollte Daniela selbst auch neue Zugänge beim Schreiben ausprobieren: «Ich konnte mich lösen von meinen Zwängen»

Jugend in der Kleinstadt

«Feel Better» reist zurück in die Jugendzeit von Odd Beholder, in eine Schweizer Kleinstadt in den 1990er Jahren. Ein Ort, der überlaufen von Engstirnigkeit und Industrie ist, die kulturellen Perspektiven für Jugendliche fehlen. Was die Sängerin so sehr an der Jugendzeit faszinierte, waren die sozialen Normen, die in diesem Alter teils hinterfragt und neu gelernt werden müssen. Die Kulisse einer tristen Kleinstadt erschwert diese Entwicklung für ihre:n Teenie-Protagonist:in noch weiter.

Im Track «Rifle Club» sehnt sich die Protagonistin nach einer Verbündeten, um den wachsamen Augen der Kleinstadt zu entkommen: «It’s hard to grow a pair of breasts in this fucked up town / full of marching bands and peeping toms». Die Gefühlsachterbahn sowie die Einsamkeit dieser Lebensphase werden passend mit einem wave-lastigen Elektro-Pop vertont. Die Frische des Albums kommt von der wissenden Retroperspektive einer Erzählerin, die die Enge der Kleinstadt hinter sich gelassen hat.

Zwischen Biografie und Fiktion

Emotional und intim sind die Texte von «Feel Better». Dadurch verschwimmen für viele Hörende die Grenzen zwischen der Kunstfigur und der realen Person. Für Daniela Weinmann, die bisher eher über abstrakte Themen geschrieben hat, waren diese Fragen neu: «Das ist das erste Album, bei dem ich mich mit dem Problem befassen muss, dass Menschen denken, dass es sich um meine Lebensgeschichte handelt».

Die Ich-Perspektive, aus der Odd Beholder singt, ist für die Künstlerin ganz klar ein «Character». Dennoch sind auch biografische Elemente im Album eingebaut, so befasst sich das Lied «Woolen Sweater» mit den Auswirkungen des begleiteten Suizids ihres Grossvaters. In «Dogs Like Me» werden aber generelle familiäre Beziehungen und Gewaltstrukturen thematisiert: «I wish you knew/ The things I went through / Everytime we had a family meeting / I thought I was a loser / I thought I was a freak»  

Odd Beholder erzählt in ihren Songs Geschichten, die für ein Schweizer Publikum sinnbildlich sind und vielen Hörenden auf eine Weise bekannt vorkommen. «Feel Better», setzt Erinnerungen in neue Kontexte und macht einen Remix aus Fiktion und Biografie. Wie das Cover des Albums schon vorweg nimmt: Um lebensechte Geschichten erzählen zu können, kommt die Maske mit ins Spiel. 

Woolen Sweater

.

Album

Am 1. Dezember 2023 ist «Feel Better» via Sinnbus/Mouthwatering erschienen.

Nächste Konzerte

25.02.2024: ISC Club, Bern