Kommentar

FOMO ist tot

In der Pandemie ist nicht wie befürchtet die Kulturszene gestorben, sondern die FOMO, die Fear Of Missing Out. Aber auch das ist alles andere als beruhigend.

Von Helena Krauser

Basel, 27.09.2023

3 min

 

«Es wird nichts mehr sein wie vorher.», «Wir starten in eine komplett neue Zeit.» Solche Sätze begegneten uns während der Corona-Pandemie immer wieder. Für manche Menschen klangen sie nach Drohung, für manche bedeuteten sie Hoffnung. Je nach Blickwinkel, je nach Job, nach Familienstand, nach Tagesverfassung.

Und jetzt? Niemand will mehr etwas zu Corona lesen. Wir alle hatten eine Überdosis an Informationen, haben uns ständig im Kreis gedreht – bis uns schwindlig wurde. 

Jetzt, wo der Schwindel langsam nachlässt, haben wir wieder Kapazität uns umzuschauen, uns einen Überblick darüber zu verschaffen, wie diese neue Welt denn jetzt aussieht. Was hat sich wirklich verändert? 

Die Unverbindlichkeit

Richten wir den Blick auf die Kulturszene, schauen hinter den Vorhang aus sich häufenden Klagen über leere Zuschauersäle und unverkaufte Tickets, dann entdecken wir dort ein lebloses Geschöpf.

Es ist die FOMO. Ein Akronym. Die Fear Of Missing Out, die Angst, etwas zu verpassen. 

FOMO ist tot. Während der Corona-Krise ist sie leise gestorben. 

Jahrelang hat sie Jugendliche und Erwachsene in Atem gehalten, zu Partys, Konzerten, Ausstellungen und Theatervorstellungen geschleppt. Immer mit der latenten Drohung: «Wenn du dich jetzt nicht aufraffst und aus dem Haus gehst, dann wirst du es spätestens morgen bereuen, dann verlierst du den Anschluss, dann bist du langweilig und wer mag schon Langweiler?»

Und dann kam die Pandemie und wir alle haben uns angestrengt, so langweilig wie möglich zu sein und dabei gelernt, dass wir eigentlich gar nicht so viel verpassen.

Die Konsequenz für die Kulturszene ist Unverbindlichkeit und ganz grundsätzlich das ausbleibende Publikum. Natürlich gibt es immer noch einige Publikumsrenner und Formate, die immer funktionieren. Aber viele der kleineren Veranstalter kämpfen mühsam darum, das Publikum an sich zu binden und stehen dann wieder vor leeren Sitzen, wenn die reservierten Karten nicht abgeholt werden. 

Das Überangebot

Zu dieser neuen Unverbindlichkeit gesellt sich ein Überangebot. Erst kürzlich gab das Bundesamt für Kultur (BAK) bekannt, dass die Anzahl der Kulturschaffenden schweizweit um 30 Prozent gestiegen ist. Woran das liegt, ist noch unklar. Vielleicht am Versprechen der Selbstverwirklichung in der Kunst, vielleicht an der Hoffnung auf ein einfaches Einkommen durch Fördergelder jenseits des kaptalistischen Marktes.

Die Deutsch-Schweizer Comedienne Hazel Brugger sagte in ihrem Podcast einmal klar und provokativ:

«Die Schweizer Kulturlandschaft ist überfördert.»

Ob das tatsächlich so ist, lässt sich schwer messen. 

Nicht übersehbar ist aber: Die Kulturagenden explodieren. Das Positive daran ist, dass für jeden etwas dabei ist. Die Diversität wächst. Aber wenn jede:r etwas anderes schaut, hört, besucht, gibt es auch keinen Resonanzraum mehr. Und was bleibt von Kultur ohne Austausch? 

Die Kollision

Die Unverbindlichkeit und Überforderung des Publikums kollidieren mit dem Überangebot der Kulturschaffenden, dabei entsteht ein für alle sehr schmerzhaftes Vakuum. 

Was ist die Lösung? Sollen, wie das BAK vorschlägt, weniger Künstler:innen ausgebildet werden, da für sie kein Markt da ist? Müssen die Kunsthochschulen ihren Studierenden klarer machen, welcher Kampf sie erwartet? Müssen sie desillusioniert werden? Müssen die Gelder weniger grosszügig eingesetzt werden?

Die Lösung?

Oder wie wäre es mit weniger, dafür besser vermittelt? Niederschwellig, hochstehend, intensiv, bunt, laut und leise. Den guten Ideen gemeinsam Gehör verschaffen, anstatt immer neue zu produzieren.

Vielleicht könnten wir so ja ein neues Akronym kreieren, eines, das sich nicht von unserer Angst, etwas zu verpassen, ernährt, sondern von einem ehrlichen Interesse an gemeinsamen, verbindenden und horizonterweiternden Ideen.

Es lebe JOCI.

Joy Of Common Interests.