Kulturförderung
Jeder und jede kann Kulturförderer sein
Nachhaltig und transformativ: Die Stiftung Erbprozent Kultur denkt die Kulturförderung neu. Seit 2015 steht sie Menschen offen, die ein Prozent ihres Erbes der Kultur vermachen wollen. Stifterinnen – und vor allem Stifter – zu finden, ist aber gar nicht so einfach.
Zürich, 31.01.2023
Eine Gutenachtgeschichte, eine Fotoausstellung, ein Kinobesuch, eine Kunstperformance, ein Sportanlass, und ganz viel mehr. Das, was unter Kultur gefasst wird, ist scheinbar grenzenlos und in ständigem Wandel. Kultur gibt Impulse und regt an. Sie schafft Verständigung, provoziert, inspiriert und verbindet. Was sie heute bewegt, ist in ein paar Jahren überholt und verstaubt.
Kaum ein Kulturförderprogramm ist so agil und transformativ, wie es die Kultur ist. Mit jeder neuen Generation entstehen neue Formate, neue Formen und Diskurse. Die Antragsformulare und Fördergesuche hinken hinterher. Sie haben gerade den Sprung vom Papier ins Elektronische mitgemacht und bleiben erst mal so, wie sie sind.
Mitbestimmen, wo das Geld landet
Diese Lücken, die sich auftun zwischen den Unterstützungsformen der Kulturförderung und den sich wandelnden Arbeitsrealitäten der Kulturschaffenden, zwischen den Fördergesuchen und den lebbaren Kulturerfahrungen, möchte eine noch kleine Stiftung füllen. Sie nennt sich Erbprozent Kultur, angelehnt an ihre Vision: Jede und jeder verspricht ein Prozent des Nachlasses für die Förderung der Kultur der nächsten Generation.
Möglichst viele Menschen sollen mitmachen, ein Erbversprechen oder ein Vorlass eintragen, und aktiv mitbestimmen, wo das Geld landet, das schon im Topf ist. Somit ermöglicht Erbprozent Kultur einer breiten Zivilgesellschaft am Kulturgeschehen teilzuhaben und diese Erfahrung des Mitbestimmens an die zukünftigen Generationen weiter zu schenken.
Mitgründerin und Präsidentin des Stiftungsrates Margrit Bürer bekam seit dem Start im Mai 2015 viele positive Rückmeldungen. Alle fänden die Idee super, doch ein Bruchteil der Personen ringt sich zum Mitmachen durch, was sie selber überrascht. Woran liegt das?
«Das Erben und Vererben ist ein schwieriges Thema, verbunden mit Fragen, was man nach dem Tod wem hinterlassen möchte. Fragen, die man lieber noch nicht regeln möchte», sagt Bürer.
1 Prozent. Eigentlich ganz einfach, für alle gleich viel.
Doch nimmt man die Worte «Erben» oder «Nachlass» in den Mund, setzt ein komplexer Prozess ein, eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod, dem viele lieber aus dem Weg gehen. Der Kern des Projekts, das Erben – das ermöglicht, die Nachhaltigkeit und den Transformationscharakter der Kultur mitzudenken – erschwert es der Stiftung, neue Mitglieder zu gewinnen.
Erbprozent Kultur
Margrit Bürer (im Bild) ist Mitbegründerin und Präsidentin der Stiftung Erbprozent Kultur, eine in der Stiftungslandschaft Schweiz einmalige Institution. Sie ist die Kulturstiftung der Zivilgesellschaft, bei der alle Menschen mitmachen können, indem sie ein Prozent ihres Nachlasses versprechen. Mit diesen Erbversprechen fördert die Stiftung von Jurys ausgewählte Kulturprojekte in der Schweiz.
Die Stiftung wurde anlässlich der Kulturlandsgemeinde im Mai 2015 lanciert. Die Kulturlandsgemeinde, das jährliche Festival in Appenzell Ausserrhoden, hat sich in Heiden unter dem Titel «Wir erben – wir Erben» den verschiedenen Dimensionen des Erbens und Vererbens gewidmet. Im Zuge der Vorbereitungen der Kulturlandsgemeinde ist die Idee Erbprozent Kultur geboren.
Weniger Nachlässe, mehr Vorlässe
Die Stiftung gewann bisher etwa 130 Personen, die sich für einen Nach- oder Vorlass entschieden haben. 98 Prozent der zusammengetragenen Gelder (mehrheitlich Schenkungen) stammen von Frauen. «Sie wollen etwas ermöglichen, sie vertrauen der Stiftung und möchten sehen, was dabei rauskommt», so die Stiftungspräsidentin.
Im Frühling 2019 sind rund 550’000 Franken für die Kulturförderung bestätigt. Das Geld stammt aus Vorlässen, also Schenkungen von Kulturstifterinnen und -stiftern, die ihren Beitrag zu Lebzeiten leisteten. Bis heute sind Kulturinstitutionen und Kulturschaffende mit insgesamt 340’000 Franken gefördert worden.
Ein variabler Stiftungszweck
Es sei eine neue Idee, die Zeit braucht, meint Margrit Bürer. Üblich sei, dass Leute mit grossem Vermögen eine Stiftung machen und damit bestimmen, was über ihr Leben hinweg mit dem Geld passiert. Ein Stiftungszweck lasse sich danach kaum ändern. Anders können bei Erbprozent Kultur alle, ob sie viel oder wenig Geld haben, zu Lebzeiten Teil einer Stiftung sein und immer wieder neu aushandeln, welche Kultur es braucht und was gerade zur aktuellen gesellschaftlichen Situation passt.
Nun braucht es noch Leute, die mitmachen. Leute allen Alters, aller Einkommensklassen, aller Hintergründe und Interessen. Je bunter, desto besser. Denn nur so entsteht eine breite aktive Zivilgesellschaft, die das Kulturgeschehen mitprägt und sicherstellen kann, dass die Kultur langfristig nicht an Vielfältigkeit und Transformation verliert.
Erbprozent zu Gast bei FRIDA
Vor einem Jahr hat die Stiftung Erbprozent Kultur den Start und Aufbau unseres Magazins mit 30’000 Franken unterstützt. In den Worten der Stiftung «Vertrauen geschenkt und die Lancierung mit einem Beitrag von 30’000 Franken gefördert».
Nun besucht Erbprozent Kultur FRIDA im Rahmen ihres 14. Forums auf der Redaktion in Chur:
FRIDA und ERBPROZENT KULTUR stellen sich gegenseitig vor und berichten über Erfolge und Enttäuschungen, Erfahrungen und Visionen und fühlen sich gegenseitig auf den Zahn.
Im zweiten Teil des Forums stossen Felix Schenker (Initiant, CEO und Chefredaktor von arttv.ch) und Gloria Weiss (Leiterin Kommunikation vom Kunstmuseum St.Gallen) dazu. Mit ihnen diskutieren wir darüber, welche Möglichkeiten sich für Kulturvermittlung und Kulturjournalismus online und im digitalen Raum ergeben, welche Herausforderungen damit verknüpft sind und welche Fragen sich neu stellen.
Samstag, 4. Februar, 14 bis 16.30 Uhr, FRIDA Redaktion, Hohenbühlweg 4, Chur. Anmeldungen bis 2. Februar unter info@erbprozent.ch