Die jungen Architekten Timothy Allen und Ronan Crippa haben anhand der Gemeinde Graps ein Beispiel visionärer, klimagerechter Raumplanung entworfen.

Die jungen Architekten Timothy Allen und Ronan Crippa haben anhand der Gemeinde Graps ein Beispiel visionärer, klimagerechter Raumplanung entworfen.

Bild: zvg Allen + Crippa Architektur GmbH

Architektur

Grabs ist überall

Auch die Raumplanung muss klimavernünftig werden. Dem grossen Nachholbedarf geben zwei junge Architekten eine beispielhafte Ortsplanung für das Dorf Grabs im St. Galler Rheintal. Eine Steilvorlage auch für andere Orte – denn es ist höchste Zeit, das Nötige zu tun.

Von Köbi Gantenbein

Fläsch, 21.06.2023

6 min

Vor zehn Jahren haben wir an der Urne mit der Revision des Raumplanungsgesetzes beschlossen, dass die Schweiz künftig nach innen verdichtet werden soll. Da die Gemeinden landauf, landab die Hoheit übers Planen haben, müssen sie seither ihre Bau- und Zonenordnungen so reparieren, dass sie dem neuen eidgenössischen Massstab genügen. Das Verdichten nach innen – und mit ihm verbunden der Verzicht, immer mehr grüne Wiese zu überbauen – ist gewiss ein guter Schritt hin zu klimafreundlicherem Bauen. Aber er genügt nicht.

Denn neben der Finanz- und Verkehrswirtschaft ist die Bauwirtschaft ja welt- und schweizweit die wohl kräftigste Treiberin der Klimakrise. Und so ist es erstaunlich, dass im laufenden schweizweiten Ortsplanen weder Fantasie noch Wissen gebraucht werden, wie wir den Bauplatz Schweiz einrichten können, damit er klimaverträglich wird – netto null gar. Andersherum – die Schweiz verpasst grad eine Chance, denn die Folgen der Klimakrise werden unsere Bau- und Zonenordnung gründlich infrage stellen. 

Mit Blick über die Bauparzelle hinaus

In Grabs, einer Gemeinde in der schnell wachsenden Agglomeration des oberen St. Galler Rheintals, wohnen und arbeiten Timothy Allen und Ronan Crippa. Eben erst haben sie ihr Diplom als Architekten an der ETH Zürich gemacht. Sie bauen dies und das um, machen da und dort an Wettbewerben mit. Und sie tun, was Architekten selten tun – sie schauen über den Rand ihrer Bauparzellen hinaus.

Sie haben etliche Themen, die in den letzten Jahren als Klimakrise berühmt geworden sind, aufs Bauen und Planen hin studiert. Mit ihren Erkenntnissen haben sie, wie es sich für Architekten gehört, eine Alternative und Ergänzung zur werdenden Grabser Bau- und Zonenordnung entworfen – denn auch ihre Gemeinde ist daran, sich fürs Verdichten zu rüsten. Grabs ist ihr Beispiel – der Anspruch der Arbeit der zwei jungen Planer aber heisst «Ein Baureglement für alle». Andersherum: Grabs ist überall. Von Carouge bis Müstair.

Mit ihren Erkenntnissen haben die Architekten eine Alternative und Ergänzung zur werdenden Grabser Bau- und Zonenordnung entworfen.

Mit ihren Erkenntnissen haben die Architekten eine Alternative und Ergänzung zur werdenden Grabser Bau- und Zonenordnung entworfen.

Bild: zvg Allen + Crippa Architektur GmbH

Vier Themen für die Planung der Zukunft

Pragmatisch haben Allen und Crippa aus dem mittlerweile hohen Berg an Wissen über das Klima und die Gründe und Folgen seines Wandels vier Themen herausgebrochen. 

1. So soll in einer kommunalen Bauordnung erstens die Graue Energie eines geplanten Hauses mit einem Materialnachweis bemessen werden müssen, der zeigt, was wie wo verbaut ist, wie es wieder ausgebaut werden kann und welche Klimalasten ein Bauteil trägt. Auch soll, wer besser baut als es der Effizienzpfad Energie des SIA verlangt, sein Grundstück um zehn Prozent höher ausnutzen können.

2. Vieles, was abgebrochen wird, könnte bestens weiter genutzt werden – es wird nicht, weil neu Bauen meist billiger ist als Anbauen, weil der Profit des Neubaus lukrativer ist, und weil sämtliche Klimafolgekosten eines Abbruchs eh die Öffentlichkeit bezahlt.

Auch planungsrechtlich ist die Sache kompliziert: Soll entlang der gewohnten Geländer verdichtet und das Grundstück so besser ausgenutzt werden, geht das oft nur mit Abbrechen. Denn Grenz- und Strassenabstände führen dazu, dass eine Erweiterung allseitig ums bestehende Haus verteilt werden muss – sinnvolles Anbauen geht so kaum.

Allen und Crippa schlagen darum vor, den Spielraum der Besitzer so zu erhöhen, dass sie bis an die Parzellengrenze bauen dürfen. Auch raten sie, die Gebäudelängen und -höhen grosszügiger zu handhaben, damit die für ein Grundstück mögliche, grössere Ausnutzung vernünftiger realisiert werden kann. 

3. Ein drittes Augenmerk gilt den Grünflächen – dass Gärten, Vor-, Hinter- und Zwischenhöfe in der Verdichtung verschwinden, vernichtet viel Lebensraum für Tiere und Pflanzen und ist einer der Hauptgründe, warum sich die Menschen gegen dichteres Bauen wehren.

Die zwei Architekten schlagen darum vor, dass Bauordnungen künftig eine Grünflächenziffer festlegen – in Wohnzonen 40 Prozent, in Zonen öffentlicher Bauten 30 Prozent und in allen andern Zonen 20 Prozent – mindestens. Zudem soll mindestens ein Fünftel des Siedlungsraumes ökologische Ausgleichsflächen sein: Blumenwiese, Wasserfläche, Gehölz, Bäume. 

4. Auch der Baum schliesslich erfährt als ein viertes Kapitel schönen Respekt – die Verdichterei kostet enorm viele Bäume in den Dörfern. Sie aber sind zentral für die Biodiversität, für die Kühlung im Sommer und für das Wohlgefühl der Menschen, Tiere und anderer Pflanzen.

Wenn die Grenz- und Strassenabstände für Bäume aufgehoben würden, fiele es den Liegenschaftsbesitzern erheblich leichter, Bäume stehen zu lassen oder neu zu pflanzen. Und es soll auch die Regel gelten, dass pro 200 m2 Parzellenfläche mindestens ein Baum «gemäss Pflanzenliste der Gemeinde zu pflanzen und zu unterhalten» ist. 

Das Erbe von Lucius Burckhardt weitergedacht

Lucius Burckhardt (2025–2003) war ein wirkungsmächtiger Theoretiker der Architektur in Deutschland, Österreich und in der Schweiz. Architekten wie Herzog & deMeuron weisen auf ihn hin, wenn sie ihr Werk erklären; die Renaissance der Städte in den letzten dreissig Jahren hat viel mit den anschaulichen und menschenfreundlichen Theorien des Baslers zu tun.

Design ist unsichtbar: Wie unsere Städte und Dörfer letztendlich aussehen, wird in der Raumplanung festgelegt.

Design ist unsichtbar: Wie unsere Städte und Dörfer letztendlich aussehen, wird in der Raumplanung festgelegt.

Bild: zvg Allen + Crippa Architektur GmbH

Er nagelte sein Denken mit einer starken Schlagzeile an die Wand: «Design ist unsichtbar.» Vierzig Jahre später haben die zwei jungen Architekten aus dem St. Galler Rheintal sich das zu Herzen genommen. Ihre Vorschläge setzen Burckhardts Denken fantasievoll, anschaulich und mit Blick aufs einfach Machbare um. Und wir lernen: Was im gebauten Raum steht, ruht auf dem unsichtbaren Design der Bau- und Zonenordnung. 

Der Gemeindevorstand von Grabs brütet noch über dem Vorschlag, wie er die Grundordnung gestalten will – neugierig werden wir prüfen, was er von den Ideen seiner zwei Bewohner übernommen hat. Doch Timothy Allen und Ronan Crippa nennen ihr Traktat selbstbewusst «Ein Baureglement für alle». Oft wird ja der Sänger zu Hause nicht gehört und brilliert dann halt in der Fremde. Und wenn also nicht Grabs eine Pionierin des klimavernünftigen Planens werden wird, so wird das eine andere Gemeinde sein – denn es ist an der Zeit, das Nötige zu tun.