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Dòra Kapusta ist eine Pionierin der Theater-Übertitelung – und hat damit auch das Zürcher Theater Spektakel mitgeprägt.

Theater

Dòra Kapusta – die Pionierin der Theater-Übertitelung

Dòra Kapusta macht seit dreissig Jahren Theater-Übertitelungen – und hat damit auch das Zürcher Theater Spektakel mitgeprägt. Wie es dazu kam, was genau diesen Beruf ausmacht und warum Übertitel manchmal auch überflüssig sind, hat sie uns in ihrem Atelier erzählt.

Von Mathias Balzer

Zürich, 17.08.2023

9 min

Dòra Kapusta lacht und zeigt auf den Bildschirm. Wir sitzen in ihrer Bürogemeinschaft oberhalb des Lettens in Zürich. «Ich finde die einfach super!» Sie schaut ein Video von «Petrolio», einer Produktion, die aus Argentinien ans Zürcher Theater Spektakel kommt. «Für mich sind das bisher die Favoriten der diesjährigen Ausgabe.»

Kapusta kennt «Petrolio» bereits in und auswendig. Sie macht für das Festival die Übertitelung des Stücks. So, wie sie es bereits seit 30 Jahren macht. Die 51-Jährige ist seit Anfang der Neunzigerjahre – mit Unterbrüchen – für das Spektakel tätig. Kaum jemand stand so oft wie sie mit einem Badge für Mitarbeiter:innen auf der Landiwiese. Was sie kann, können nur wenige: Stücke aus vier Sprachen auf Deutsch übersetzen und sie in eine Form bringen, die das Schauen von fremdsprachigen Produktionen trotz Sprachbarriere zu einem angenehmen Ereignis macht.

«Übertitlerin» ist ein sperriges Wort als Berufsbezeichnung; sperrig auch, weil nicht geläufig: Dieser Beruf ist auf der Ausbildungslandkarte inexistent, obwohl das Theater immer internationaler wird.

Wie aber erarbeitet man sich einen Beruf, den es scheinbar gar nicht gibt?

Am Anfang waren die Sprachen

Dòra Kapusta kam 1969 in Altstätten, Kanton St. Gallen, zur Welt. Die Eltern sprachen mit ihr ungarisch. Einige Monate zuvor waren die schwangere Mutter und ihr Mann aus den Ferien in Titos Yugoslawien nicht nach Hause in den Süden der Tschechoslowakei zurückgekehrt – wo man eben ungarisch spricht. In Prag hatten die Panzer der UDSSR den Frühling der politischen Hoffnung plattgewalzt. Das junge Paar war auf der Flucht, und reiste über Wien und Buchs in die Schweiz ein. Dieselbe Route, die heute noch für Schlagzeilen rund um Flüchtende aus dem Osten sorgt.

Ein Leben in Altstetten, das hätten sich das Lehrerpaar nicht vorstellen können, erzählt Kapusta. Sie entschieden sich für Biel, die damals aufstrebende Uhrenstadt, in der zwei Sprachen gesprochen werden. «Bis sechs habe ich nur ungarisch und französisch gesprochen», erzählt Kapusta, «dann zogen wir in ein deutschsprachiges Quartier und ich vergass Vieles vom Französischen wieder, dafür wurde meine so genannte Erstsprache Deutsch. Das Französisch kam dann in der Schule wieder hervor und das Englische hinzu.»

Ungarisch blieb die exotische Sprache, die sie mangels anderer Verwandtschaft nur mit ihren Eltern sprach. Mit 18 habe sie sich an der Uni in Budapest eingeschrieben, aus Neugierde an der Herkunft, der Herkunftssprache. Sie wisse gar nicht mehr, wie sie sich dort angemeldet habe, damals, ohne Internet und noch vor dem Mauerfall.

Vor der Reise in die unbekannte Heimat lernte sie bei einem Sprachaufenthalt in Granada Spanisch.

Die hier im Zeitraffer erzählte Sprachbiografie mündete 1990 letztendlich in einem Studium an der Übersetzer- und Dolmetscherschule DOZ in Zürich. Dòra Kapusta spricht und schreibt fünf Sprachen – «und etwas Italienisch», wie sie sagt.

Die ersten Gehversuche

Zürich 1990, das war die Zeit der Nachwehen von Punk, «Bewegig» und Yuppietum, Platzspitz, Aids und Paradeplatz, begleitet von ersten wummernden Bässen in leerstehenden Industriehallen und besetzten Häusern – und Theater aus der ganzen Welt.

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Dòra Kapustas erster Mitarbeiter:innen-Badge für das Zürcher Theater Spektakel, ausgestellt im Sommer 1989.

Beispielsweise die Schauspieler:innen des Katona József Theater aus Budapest. Eine persönliche Bekanntschaft Dòra Kapustas in Ungarn, ein Ensemblemitglied des Theaters, und ein Telefonat mit Jürg Wootli, dem damaligen Spektakel-Leiter, führten zum ersten Job auf der Landiwiese. Dòra betreute die ungarischen Künstler in Zürich und bei ihrem Auftritt beim La Bâtie-Festival in Genf; was wiederum dazu führte, dass sie von da an vom Spektakel regelmässig als Übersetzerin und Künstlerbetreuerin engagiert wurde, was wiederum dazu führte, dass sie die Anfänge der Theaterübertitelung Mitte der Neunzigerjahre hautnah miterleben und letztendlich mitprägen konnte.

Markus Luchsinger, der damalige Leiter, förderte diese Art der Vermittlung trotz aller Widerstände. In den Anfängen musste das Publikum vom Vorteil überzeugt werden, auch wenn es nun plötzlich im Theater lesen musste wie im Kino. Davor war es üblich, jedem Zuschauer über Kopfhörer eine Simultanübersetzung zu liefern, was den Nachteil hatte, dass man oft beide Sprachen parallel anhören musste.

Übertitelung war damals aber eine technische Herausforderung.

«Beamer waren gross wie Tische und teuer wie Autos, Laptops gab es kaum und Programme wie Powerpoint schon gar nicht»,

erzählt Kapusta. «Es war die Zeit des Bastelns und Experimentierens.»

Und schon bald sollte die junge Übersetzerin ihre Feuertaufe in Sachen Übertitel-Basteln erleben.

Sieben Stunden

Während einer Assistenz am Sommertheaterfestival in Hamburg lernte Kapusta Hannah Hurtzig kennen, die Leiterin des Festivals Theater der Welt, das damals, 1996, in Dresden stationiert war. Hurtzig wollte, dass im ehemaligen Osten alle fremdsprachigen Stücke übertitelt werden, auch das siebenstündige Epos «The Seven Streams of the River Ota» des kanadischen Theatermachers Robert Lepage.

Dòra Kapusta übernahm den Job, worauf sie sieben Videokassetten mit der Aufzeichnung des Stücks und das Script aus Québec City zugeschickt bekam. Auf dem Abspielgerät ihrer damaligen Nachbarin konnte sie sich Lepages Werk anschauen, übersetzte das Stück, reiste nach Wien, wo Lepage an den Festwochen sein Epos nochmals erweiterte und umstellte, adaptierte die Übersetzung, die dann in Dresden über eine ganze Nacht von zahllosen Floppi-Disks in ein Programm eingespiesen wurde.

Dass damals ein junger deutscher Techniker einen Wagen für den riesigen Beamer bauen musste – und dieser Techniker Jahre später ihr Partner werden sollte – in dieser Geschichte geschenkt. Das man nach Überspielung der Übersetzung ins Abspielprogramm nicht mehr in den Text eingreifen konnte – ebenfalls geschenkt. In den sieben Stunden Aufführung entstand einerseits Kapustas Liebe zu Lepages Inszenierungen und andererseits entdeckte sie ihren Beruf, dessen Handwerk heute noch aus denselben Schritten besteht – wenn auch mit etwas schnellerer und vor allem auch billigerer Technik.

Am Ende entscheidet der Flow

Basis der Übertitelung ist die Übersetzung, die jedoch immer eine Verkürzung des Originals ist, da beim gesamten Text die Lesenden gar nicht nachkommen würden. Eine Kunst für sich. «Manchmal fallen bis zu dreissig Prozent des Textes weg», erklärt Kapusta. «Wenn es Klassiker wie Molière oder Shakespeare sind, muss ich sie in eine einfachere und modernere Sprache übertragen. Mein Ziel ist immer, dass die Zuschauer sowohl dem Text wie auch den Schauspielern folgen können.»

Ein Balance-Akt, in dem Sprach- und Rhythmusgefühl und Theatererfahrung zusammenfinden müssen. «Und man muss schon eine ‘Korintenkackerin’ sein. Es geht immer um tausend Details, um das Komma hier und den Abstand dort. Das sind Stunden an Detailarbeit.»

Kapusta schaut jedes Stück drei bis vier Mal am Computer und übt das «Fahren» des zuvor übersetzten und verkürzten Textes. «Wenn ich dann ins Theater komme, kann ich das Stück beinah auswendig. Während der Aufführung höre ich das Original mit, lese gleichzeitig die Übersetzung und versuche einen Flow zu finden, der für die Zuschauer angenehm ist. Es ist für mich, als ob ich eine Partitur auf einem Klavier spiele.»

Dòra Kapusta während der Arbeit an einer Übertitelung in ihrem Zürcher Büro.

Dòra Kapusta während der Arbeit an einer Übertitelung in ihrem Zürcher Büro.

Bild: Mathias Balzer

Stücke übersetzen und x-Mal anschauen, das fordert, vor allem, wenn einem das Stück nicht gefällt. Welche Theaterarbeiten können eine so routinierte Betrachterin denn noch begeistern?

«Gute Schauspieler:innen und gutes, originelles Storytelling kann mich immer begeistern», antwortet sie. «Am Theater Spektakel wiederum sehe ich viele Produktionen, in denen man exemplarischen Geschichten aus einem bestimmten Land folgen kann. Da überzeugt neben der Unterhaltung auch schlicht die Tatsache, dass ich quasi Informationen aus erster Hand bekomme.

Ein kleiner oder ein wachsender Markt?

Schaut und hört man Kapusta bei der Arbeit zu, fragt man sich, wieso dieser Beruf keinen anderen Status hat. Gut, die Arbeit der Übersetzerin gehört wohl zu jenen, die durch künstliche Intelligenz brutal unter Druck kommen. Aber gerade die Kombination von verkürzter Übersetzung und Begleitung eines Live-Anlasses wird die Maschine in dieser Qualität nicht so rasch liefern. Eigentlich eine Steilvorlage für alle Übersetzer:innen, die auch mal ihren Schreibtisch verlassen wollen.

Kapusta hat 2006 an der ZHdK Zürich eine Masterarbeit zum Thema geschrieben, in der sie ein Panorama der Verwendung von Übertiteln im Theater zeichnet und die Möglichkeiten der dramaturgischen Verwendung und der ästhetischen Inszenierung der Titel beschreibt. Es gibt also auch theoretische Grundlagen.

Ihre Firma Subtext für Übertitelungen ist im deutschsprachigen Raum eine der wenigen. Was vielleicht auch am beschränkten Markt liegt, oft gestützt durch die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, die Übersetzungen finanziert. Kapusta selbst macht pro Jahr rund 30 Übertitelungen, pro Arbeit rechnet sie mit rund 60 Stunden.

Der Markt ist jedoch am Wachsen. Grosse Theaterhäuser wie das Schauspielhaus Zürich oder das Theater Basel haben begonnen, deutschsprachige Stücke mit englischen Übertiteln zu zeigen. Kapusta sieht das mit gemischten Gefühlen. Natürlich sei das ein Service für Expats, Touristen und die fremdsprachige Bevölkerung – Stichwort Inklusion. «Alle Aufführungen zu Übertiteln halte ich jedoch für falsch. Das deutschsprachige Publikum sollte wählen und die Stücke auch ohne Begleittext sehen können. Denn die Screens lenken den Blick ab. Mir erzählen viele Leute, sie störe das.»

Am Theater Spektakel ist die Übertitelung längst selbstverständlich, ja sie wird vom Publikum erwartet. Dieses Jahr wird Dòra Kapusta beim eingangs erwähnten «Petrolio», bei «Vendo Humo» und bei «Manifesto Transpofágico» dafür sorgen, dass wir diese Stücke lesen können – im doppelten Wortsinn.