Musik

Die Talente sind da - lasst sie spielen

Die Schweizer Musiklandschaft ist diverser denn je. Warum ist das auf und hinter den Bühnen nicht zu sehen?

Von Shannon Hughes

Basel, 21.06.2023

3 min

Ganz benommen von unserem allerersten DJ Gig packten meine Kollegin und ich letzten Frühling unsere Laptops zusammen. Der Club war dank dem Osterwochenende sehr gut besucht. Die Morgendämmerung grüsste schon durch die Fenster, als ein Gast zu uns kam und meinte: «Boah, zwei Girls am DJ Pult? Das ist ja ganz was Neues!» 

Was ich in meiner Müdigkeit zunächst als gut gemeintes Kompliment aufnahm, beschäftigte mich am Morgen danach sehr. Es war 2022. Frauen* am DJ Pult waren schon seit Jahrzehnten nichts Neues. Und trotzdem würde es nicht das letzte Mal sein, dass wir diese Rückmeldung bekommen würden. Was sich nach einem kleinen DJ-Gig äussert, zeugt von einem viel grösseren Problem.

Ungleichgewicht vor und hinter der Bühne

Gerade in den letzten Jahren sind in diesem Land hervorragende Musikprojekte mit einem hohen Grad an Diversität entstanden. Wie lange dauert es noch, bis sie auf den Schweizer Bühnen gesehen und gehört werden können? 

Eine spartenübergreifende Studie zur Diversität im Schweizer Musikschaffen existiert noch nicht. Der Verein Helvetiarockt, der sich für das Musikschaffen von Frauen, inter, non-binären, trans und agender Personen im Jazz-, Pop- und Rockbereich einsetzt, gibt allerdings Analysen der Geschlechterverhältnisse anhand eigener Zählungen heraus. Diese zeigen die verheerenden aktuelle Verhältnisse: Bei der Bühnenpräsenz stehen 89 Prozent Männer* 11 Prozent Frauen* gegenüber, in der Musikproduktion 98 Prozent Männer* zu 2 Prozent Frauen*, bei Lehrpersonen an Musikhochschulen sind es 88 Prozent Männer* und 12 Prozent Frauen*. 

Auf den Bühnen ist diese Ungleichheit schon lange zu spüren. Die Instagramseite «lineupswithoutmen.ch» hält regelmässig fest, wie divers die Programme Schweizer Festivals sind. Am Greenfield Festival in Interlaken, der einflussreichsten Rockveranstaltung des Landes, hatten nur 12.2 Prozent der gebuchten Bands ein nicht männliches Mitglied. Beim B-Sides Festival in Kriens hingegen waren es 77.5 Prozent – eine ausserordentlich hohe Zahl. Bei den alternativen Festivals scheint es, als würde die Problematik ernst genommen – die gewinnorientierten Festivals halten sich grösstenteils an das «Bewährte».

Auch hinter den Bühnen ist die Schweizer Musikbranche noch stark männlich und weiss geprägt. Im Musikvertrieb und der Promotion, bei Veranstalter:innen, in der Licht- und Tontechnik und auch im Musikjournalismus fehlt es noch an Frauen* und BIPoc (Schwarze, Indigene, People of Colour). Diese Berufe prägen die Entwicklung der Szene genauso wie die Musiker:innen auf den Bühnen. Sie fungieren als «Türsteher:innen» der Musikbranche, die entscheiden, wessen Musik hörbar gemacht wird. 

Wem keine Chance gegeben wird, bleibt draussen. Wer drin ist, bleibt es.

Mehr Mut für Neues

Die Gleichstellungsproblematik in der Musikbranche ist, wie in anderen Bereichen auch, strukturell bedingt. Der Mythos des männlichen Rockstars, für den es keine Grenzen mehr gibt, ist allgegenwärtig.

Klar ist, dass Talent immer vorgehen muss. Tokenismus, die Praxis, bei der Menschen aus «marginalisierten» Identitätskategorien nur aufgrund dieser repräsentativ eingebunden werden, bringt den Künstler:innen und der Szene nichts. 

Wir brauchen ein Umdenken auf mehreren Ebenen. In Musikschulen muss den jungen Frauen* und BIPoc Mut gemacht werden, die Musik professionell zu verfolgen. Entscheidungsträger:innen sollten für ihre Projekte nicht die naheliegendsten oder bereits bekannten Künstler:innen wählen, sondern ruhig auch weiter recherchieren. Und Musikhörende müssen sich trauen, Neues zu entdecken, zu hören und zu unterstützen. Damit wäre der Anfang einer Musiklandschaft, in der Diversität wirklich gelebt wird, gemacht.

Es gibt sie, die Talente, die keine weissen Cis-Männer sind. Gebt ihnen doch endlich die Bühne, die ihnen zusteht.