Tapiwa Svosve bei der Bad Bonn Kilbi. Bild: Patrick Principe

Tapiwa Svosve bei der Bad Bonn Kilbi 2022.

Bild: Patrick Principe

Tapiwa Svosve im Porträt

Der Saxofonist, der Fragezeichen mag

Der Musiker Tapiwa Svosve agiert in unterschiedlichen Kontexten und verwebt in seiner Arbeit Einflüsse des Jazz, der Pop- und Subkultur, des Theaters und der Theorie. Mathis Neuhaus hat den Improvisationskünstler getroffen: zwischen Zürich, Luzern und Düdingen, auf Konzerten und im Gespräch.

Von Mathis Neuhaus

Zürich, 29.06.2022

8 min

«Vorgestern war das Wipkingen Open Air», erzählt mir der Musiker Tapiwa Svosve an einem sonnigen Montagvormittag auf einer schattigen Terrasse in Zürich. «Ich bin dort mit Dimitri Krebs, Nico Sørensen und Nicola Habegger als Nelly Schweiz aufgetreten, einer Noise-Band, die Stücke von Nelly Furtado covert. Unsere zwei Hits sind ‹No hay igual› und ‹Maneater›.»

Wiederum einen Tag vor dem Wipkingen Open Air stand ich auf dem Sonnenberg bei Luzern vor einer der Bühnen des sympathischen B-Sides Festivals und hörte Svosve, an Keyboard und Saxofon, als Teil der Band District Five, die bisweilen als Jazzband bezeichnet wird, sich aber wohl selber nicht so bezeichnen würde.

Und während der, ebenfalls sympathischen, Bad Bonn Kilbi Anfang Juni fand ich mich, mit circa 200 anderen, in einem dunklen, verrauchten Club wieder, bei einer Performance von Tapiwa Svosve gemeinsam mit Tizia Zimmermann und Simon Grab. Auf der Homepage des Festivals werden der Musik des Trios die liebevollen Attribute «Avantgarde’s Monster», «Apocalyptic Jazz» und «Music For Horror Movies» zugeschrieben. Fantasievollen Leser:innen sollte es nun möglich sein, sich den Klang vorzustellen: Weit in die Abstraktion collagierte Improvisationen, die spannungsvoll zwischen analog und elektronisch oszillieren und die Aufmerksamkeit belohnen, die man ihnen schenkt.

Ich erinnere mich ausserdem an ein Solo-Set von Svosve mit Saxofon im Rahmen der Konzertreihe Graveyard Shift im Pfauen des Schauspielhauses Zürich und an eine einführende Improvisation (auch mit Saxofon) vor einem Konzert von Moor Mother in der Kaserne Basel. Ausserdem kollaboriert er als Teil von Moved by the Motion, dem Kollektiv rund um die Künstlerin Wu Tsang, das am Schauspielhaus Zürich Arbeiten wie «Orpheus» und «Composition I – (vor) IV» realisierte. Oder eine der letzten Louis Vuitton Fashionshows des im November 2021 verstorbenen Designers Virgil Abloh, zu deren Soundtrack auch Tapiwa Svosve beitrug.

Die obsessiven Studienjahre

In dieser anekdotischen und unvollständigen Einleitung zeigt sich, dass eindeutige Zuschreibungen in diesem Porträt im Weiteren eher im Weg stehen könnten. Eine lässt sich vielleicht dennoch wagen. Tapiwa Svosves Hauptinstrument, das Saxofon, und die improvisatorische Natur seiner Performances, rücken die künstlerische Praxis nah an den Jazz.

Mehr noch: Jazz und ein diskursives Verständnis des Genres, seiner Geschichte und Codes informiert, was Svosve in diesen unterschiedlichen Kontexten tut. Wenn sich sein Saxofon-Spiel allerdings entfaltet, wird deutlich, dass das weite Feld des Jazz noch nicht weit genug ist, um Svosves Referenzsystem zu erfassen. Der Möglichkeitsraum des Instrumentes erweitert sich stetig. Auch von den Assoziationen «Porno» oder einem «glänzig schmierigen Achtziger-Sound», wie Svosve Mainstream-Lesarten des Saxofons in einem anderen Interview nennt, bleibt nichts mehr übrig: Stattdessen werden flirrende Momente in eine Ewigkeit verlängert, und Konventionen und Strukturen immer wieder aufgebrochen.

Tapiwa Svosve bei der Bad Bonn Kilbi. Bild: Patrick Principe.

Das Jazzstudium an der Zürcher Hochschule der Künste kontemplierend sagt er: «Das Studium ist toll, weil man acht Stunden pro Tag üben und Zeit mit seinem Instrument verbringen darf. Ich konnte obsessive drei Jahre dafür nutzen, mein Instrument besser zu beherrschen.» Ein passionierter Satz eines passionierten Musikers, der sich auch im Gespräch als solcher zu erkennen gibt: ein auf den Tisch geklopfter Rhythmus, die gesummte Melodie von Nelly Furtados «Maneater».

Jazzer statt Buschauffeur

Über seine frühe musikalische Sozialisation sagt der 1995 geborene Svosve: «Ich habe mit neun angefangen, Saxofon zu spielen, war aber nicht besonders ambitioniert. Erst später habe ich realisiert, dass ich gut genug bin, um Musik zu studieren. Bis ich 16 war, wollte ich Comiczeichner oder Buschauffeur werden. Mit 17 habe ich begonnen, mit einem Freund freie und eher seltsame Improvisationen zu machen und auch elektronische Musik produziert, Noise vor allem. Das hat aber lange eigentlich niemanden interessiert.»

Und was gibt es sonst noch über Jazz zu sagen? «Als ich studierte, gab es eine sehr aktive Jazz-Szene in Zürich. Dadurch habe ich verinnerlicht, dass man, wenn man sich dieser Form der Musik widmet, Dinge selber macht. Dazu gehört eine ganze Kultur: Jams miteinander organisieren, Kaffee trinken, etwas über einen längeren Zeitraum zusammen ausprobieren.» Die Institution für das Instrument, soziale Kontakte und persönliche Interessen für alles Weitere, denn zu sehr sollte man sich auf die Hochschulen nicht verlassen: «Die Vermittlung der Musikgeschichte war inhaltlich miserabel. So schlecht, dass ich dachte: ‹Ich mache das jetzt besser.›»

Tapiwa Svosve am B-Sides-Festival 2022.

Tapiwa Svosve am B-Sides-Festival 2022.

Bild: zvg

Diskurse wider den Eurozentrismus

Besser machen will Svosve es mit seinem Onlinekurs «Aphonic Rituals», den er diesen Sommer im Rahmen der Cassandra Classrooms gibt, die von der Künstlerin Kandis Williams organisiert werden. Ein weiterer Kurs der Cassandra Classrooms hebt das gemeinsame Lesen des Buches
«How Europe Underdeveloped Africa» von Walter Rodney auf die Agenda, wieder ein anderer trägt den Titel «The Black Art Sessions», geleitet von der Kuratorin Ebony L. Haynes.

Vielstimmig, divers und kritisch vermittelte künstlerische Diskurse, die sich abgrenzen zu den institutionalisierten, oftmals eurozentrisch agierenden, kulturellen Gatekeepern, können wichtige Korrekturarbeit leisten. Einen uniformen Kanon, der Allgemeingültigkeit propagiert, gilt es, immer wieder zu hinterfragen, denn die Verhältnisse sind oft komplexer und nuancierter, mit Verbindungslinien in mehrere Richtungen und Dimensionen gleichzeitig. Pointiert sagt Svosve: «Hier lesen alle immer die gleichen Texte von irgendwelchen Deutschen aus den 70ern.»

Nach unserem Gespräch teilt er via iMessage einige PDFs mit mir, unter anderem einen Reader, der Material über den afroamerikanischen Komponisten, Pianisten, Sänger und Tänzer Julius Eastman versammelt, der auch Teil des Curriculums von «Aphonic Rituals» sein wird. Eastman wurde von seinen Zeitgenoss:innen (er arbeitete unter anderem mit Meredith Monk, Pierre Boulez oder Morton Feldman) geschätzt, aber vom damaligen intellektuellen Mainstream kaum als Komponist anerkannt. Bis zu seinem viel zu frühen Tod im Jahr 1990 arbeitete er abseitig, in Distanz zum vermeintlichen Kanon der Minimal Music, der geprägt wurde von den rigiden Arbeiten von Künstlern wie Steve Reich oder Philipp Glas.

Im Unterschied zu deren statischen Repetitionen folgte Eastmans Musik dem von ihm definierten «organischen» Prinzip: Jeder neue Abschnitt eines Werkes enthält alle Informationen der vorangegangenen Abschnitte, auch wenn diese Informationen ausgelassen, moduliert und neu organisiert werden können.

Jazzmusiker und Saxophonist Tapiwa Svosve in Wu Tsangs Inszenierung «Composition (vor) IV» am Schauspielhaus Zürich. Bild: Diana Pfammatter

Jazzmusiker und Saxophonist Tapiwa Svosve in Wu Tsangs Inszenierung «Composition (vor) IV» am Schauspielhaus Zürich.

Bild: Diana Pfammatter

Viele Fragezeichen sind okay

Hier ergibt sich eine feine Verbindungslinie zur inhaltlichen Vielseitigkeit der Praxis von Tapiwa Svosve, die zwar irgendwie dem Jazz zugehörig ist, aber genauso Einflüsse von Pop- und Subkultur, Noise, Theater, Performance, Mode und Theorie interdisziplinär und kollaborativ in sich vereint. Und wenn in unserem Gespräch noch der saloppe Satz fällt, dass es oft auch einfach Zufall sei, wie Dinge passieren, ist das sicher nicht falsch, aber sicherlich auch nur die halbe Wahrheit. Denn wer sich selbstverständlich in verschiedenen Kontexten bewegt und zusätzlich die Improvisation priorisiert, der kann immer wieder flexibel reagieren. Dazu sagt der Musiker noch den schönen Abschlusssatz: «Wenn es viele Fragezeichen gibt, dann ist das okay für mich.»