26-mt-hoersinn-bill-viola-silent-mountain-email

Bill Violas Videoarbeit «Silent Mountain» aus dem Jahr 2001 ist derzeit im Museum Tinguely in Basel zu sehen.

Bild: zvg Museum Tinguely

Kunst und Theater

Ganz Ohr sein

Für einmal die Augen schliessen: In Basel stellen eine Performance in der Kaserne und eine Ausstellung im Museum Tinguely das Hören für ins Zentrum.

Von Dominique Spirgi

Basel, 28.03.2023

7 min

Bildende Kunst für die Ohren und Unhörbares auf der Theaterbühne: Neu sind solche Grenzüberschreitungen nicht, die Avantgarde der Moderne versuchte sich dereinst intensiv darin. Ihre Experimente hallen immer noch nach.

Einer der Schlüsselmomente der Annäherung zum sinnlichen Gesamtkunstwerk ereignete sich 1943 im Museum of Modern Art in New York, als der bedeutende Komponist und Musiker John Cage auf den ebenso bedeutenden Kunsterneuerer Marcel Duchamp traf. Die Beiden entwickelten gemeinsam Projekte, die grossen Einfluss vor allem auf die Happening- und Fluxus-Bewegung der 1950er-Jahre hatten.

Zu Cages Schülerinnen und Schülern zählten, um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen, George Brecht oder Yoko Ono. Und zu seinen Kooperationspartnern neben vielen grossen Namen der Avantgarde der bildenden Kunst auch Jean Tinguely.

Marcel Duchamps «A bruit Secret» ist in der Ausstellung im Museum Tinguely ebenfalls zu sehen.

Marcel Duchamps «A bruit Secret» ist in der Ausstellung im Museum Tinguely ebenfalls zu sehen.

Bild: Daniel Spehr

Kein Wunder also, dass das Museum Tinguely dem Klang in der Kunst eine Ausstellung widmet – eine, die wiederum auf die frühe Avantgarde zurückgreift: Der Titel der Ausstellung im Museum Tinguely «À bruit secret. Das Hören in der Kunst» bezieht sich auf ein Werk des grossen Avantgardisten Marcel Duchamp, das aber die Ankündigung, hörbar zu sein, gar nicht erfüllt. Respektive nicht erfüllen kann.

In einem offenen Metallgehäuse befindet sich ein Schnurknäuel, der ein auch dem Künstler unbekanntes Objekt verbirgt. Könnte man das Ganze schütteln, würde dieses zumindest hörbar. Aber das darf man natürlich nicht, zu diffizil ist dieses 1916 entstandene Werk.

Ein hinterlistiges Spiel mit dem Publikum

Das mag ziemlich abgehoben klingen. Dieses und einige weitere Werke in der Ausstellung sind es tatsächlich auch. Künstler:innen wie eben Duchamp treiben ein hinterlistiges Spiel mit den Betrachter:innen respektive Zuhörer:innen, gewohnte Schranken der bildenden Kunst wurden und werden eingerissen.

Die italienischen Futuristen etwa wollten die Musik durch neue Klagwelten bereichern – beispielsweise mit dem Lärm des Kriegs, wie die Klangmaschinen-Entwürfe von Fortunato Depero von 1916 zeigen. Und Kurt Schwitters führte mit seiner legendären «Ursonate» den Dadaismus vom Bild zum tönenden Gesamtkunstwerk.

Diese hintersinnigen Spielereien ziehen sich bis in die Gegenwart weiter. Der Zürcher Künstler Marcus Maeder macht in einer Hütte aus Holz und Kautschuk das Wachsen der Bäume im Regenwald und die damit verbundenen Auswirkungen auf die CO2-Werte hörbar. Damit macht er ein quasi-wissenschaftliches Experiment zum sinnlichen Erlebnis.

Marcus Maeders «Espirito da floresta» macht den Urwald und seine CO

Marcus Maeders «Espirito da floresta» verwandelt die CO2-Produktion des Urwalds in ein Hörerlebnis.

Bild: Marcus Maeder

Ohne kuratorische Erklärungen funktionieren solche Projekte allerdings nur bedingt. Da ist der Zugang zu einem Werk von Oswaldo Macià einfacher. Der kolumbianische Künstler hat Vogelstimmen zu einem klassischen Orchester in sinfonischer Aufstellung zu einem vielstimmigen Konzert gruppiert.

Da ist es entspannend, zwischendurch auf ein Werk des Hauskünstlers Jean Tinguely zu treffen, das sich ohne grosses Nachdenken erschliesst. So auf sein individuell steuerbares Klangrelief «Mes étoiles» von 1958 mit dem selbsterklärenden Untertitel «Concert pour sept peintures».

Der Klang des Rheins

Oder auf die sinnliche Klaginstallation «Il reno» der deutschen Künstlerin Christina Kubisch. Sie lässt die Besucher:innen beim verglasten Aufgang zu den Ausstellungsräumen über Kopfhörer die Klänge des dort bestens sichtbaren Rheins erleben. Da ist das Rauschen des Flusses, das beim Gang zum gemütlichen Plätschern wird oder sich zu den hörbaren Vibrationen der Züge aufbauscht, die über die Eisenbahnbrücke donnern. Ein Werk, in das man im übertragenen Sinn tief eintauchen kann.

Die Ausstellung ist die vierte Station in einer Reihe, die sich spezifisch mit den menschlichen Sinnen befasst. Bereits abgehandelt hatte das Museum den Geschmacks-, den Geruchs- und Tastsinn.

Christina Kubisch bringt mit «Il reno» den Klang des Rheins ins Museum Tinguely.

Christina Kubisch bringt mit «Il reno» den Klang des Rheins ins Museum Tinguely.

Bild: Daniel Spehr

Ums Hören und Sehen ging es auch beim Performance-Projekt «screening invisibilities» des Basler Theater-Tüftlers Zino Wey. Ein Quartett mit gehörlosen und hörenden Darsteller:innen trat auf die Bühne der Reithalle der Kaserne Basel, um «aus Gebärden, Gesten, Bewegung, Tanz und Musik eine eigene Körpersprache» zu entwickeln, wie es im Projektbeschrieb hiess.

Zu erleben war ein toll aufspielendes Quartett mit Eyk Kauly, Jan Kress, Kihako Nariswa und Thorbjörn Björnsson, die gegenseitig an ihre sinnlichen Grenzen traten und diese über feine bis fulminante Tanzeinlagen übertraten.

Ein poetisch-politisches Manifest

Das alles hätte für einen künstlerisch und inhaltlich überaus ansprechenden Theaterabend ausgereicht. Doch Regisseur Zino Wey und die gehörlosen Darsteller wollten offensichtlich mehr. Sie wollten ein «poetisch-politisches Manifest für die Sichtbarkeit» der Gehörlosen darbieten. Das war dann packend, wenn es auf die hintersinnig-poetische Weise geschieht, etwa wenn einer der Performer versucht, eine «Anleitung, um unsichtbar zu werden», umzusetzen, was ihm natürlich nicht wirklich gelingen konnte. Das wirkte dann aber etwas aufgesetzt, wenn über hingeworfene Plakatreihen politische Botschaften respektive Pamphlete dargebracht wurden.

Zino Wey bringt mit «screening invisibilities» ein Quartett mit gehörlosen und hörenden Darsteller:innen auf die Bühne der Kaserne Basel.

Zino Wey bringt mit «screening invisibilities» ein Quartett mit gehörlosen und hörenden Darsteller:innen auf die Bühne der Kaserne Basel.

Bild: Johannes Schäfer

Und dass einem vor lauter Sehen das Hören nicht vergeht, dafür sorgt aktuell auch das Kunstmuseum Basel.

Als Begleitveranstaltung zur wunderbaren Ausstellung «Shirley Jaffe. Form als Experiment» hat das Museum unter dem Titel «Manyness» ein fünfstündiges Happening mit Musik von Iannis Xenakis, Karl Stockhausen und weiteren, zum Teil zeitgenössischen Komponist:innen ins Programm genommen.

Das Museum nimmt damit die Begeisterung auf, mit der die amerikanische Künstlerin Shirley Jaffe (1923–2016) in den 1960er-Jahren den Komponisten Xenakis und Stockhausen gegenübertrat, die wie sie selber, mit Formen experimentierten, mit Klängen neue Wege einschlugen.

Die Happenings finden an den Wochenenden von 14./15. April sowie 12./13. Mai statt.


Museum Tinguely: «À bruit secret. Das Hören in der Kunst». Bis 14. Mai 2023.