Zu Besuch bei Augustin Rebetez
«Meine Arbeit ist ein Vorspiel für die kommende totale Anarchie»
Augustin Rebetez, jurassischer Künstler mit Jahrgang 1986, wird gerne als «enfant terrible» der Schweizer Kunstszene bezeichnet. Unsere Autorin findet: Absolut zu Recht. Sie ist begeistert von diesem Werk, in dem düstere Leichtigkeit, morbide Lebendigkeit und die Widersprüche unserer Zeit nebeneinander stehen. Sie hat die Ausstellung besucht und dem Künstler fünf Fragen gestellt.
Aarau, 07.03.2023
Gleich am Anfang grüsst die Trigger-Warnung. Eine kleine Tafel am Eingang zur Ausstellung kündigt «laute, grelle und verstörende Inhalte» an und ermahnt einen, bei einzelnen Werken Warnhinweise auf den Werkschildern zu beachten. Die Vorfreude wächst und man wird im ersten Raum gleich mit einer vollen Ladung «Vitamin» bombardiert. Knallige Farben, viel Schrift und Licht, detailversessen, grossflächige Bilder mit animalisch anmutenden Köpfen, vogelartige Fabelwesen-Skulpturen.
Die Aufmerksamkeit aber richtet sich auf die grosse Leinwand, man muss geradezu hinschauen und hinhören: «HEY! YOU! CHECK MY STUFF!» heisst es da verheissend in grossen, bewegten, blinkenden Lettern. Ein gesprochener Popsong, quasi, mit auffälliger Typograpfie drängt sich einem buchstäblich auf: «ALL IS GOOD. YEAH!» Ein Wortschwall in rasendem Tempo, schneller Schnitt, grell, bunt und pulsierend.
Zehn Minuten lang wird man mit Splittern beglückt, die alles kurzatmig anschneiden und wieder verlassen, was einem das Hirn halt so zumuten und aufdrängen kann: «OXYGEN. ANIMALS. KRAUTROCK. SABOTAGE.» – Klimasündenhölle, obsessive Liebe, Wirtschaftskrise, Roboter, Daten-Cloud, Krieg, die Frage, ob Banane oder Avocado.
Immer «AVAILABLE FOR EVERYTHING», immer «ONLINE», «100% ALIVE» gibt die Stimme an zu sein und fordert emphatisch dazu auf, mit ihm/ihr wegzulaufen – «WE CAN DO WHATEVER WE WANT!». Und man möchte, entgegen jeglicher Vernunft, selbstredend mitlaufen.
Der Popsong wird hier zum Religionsersatz, die Textzeilen zum Mantra, der Bildschirm zur Verführungsmaschine. Eine hintersinnig subversive Affirmation, möchte man sagen und applaudieren, aber es ist ja keiner da, der einem zuhört – höchstens online vielleicht – «ON WHATEVER PLATFORM».
Verführungsmaschinen
Im nächsten Raum zischt und klappert es. Ein weiteres Sinnesgewitter, angezettelt von maskierten Maschinenkörpern, die unter viel Lärm skurrile Tänze vorführen. Alte Küchenmaschinen, kaputte Computertastatur, sterbende Kakteen, Giftfläschchen, eine Art Marterpfahl, ein Fleischhaken, Zeichnungen, Skulpturen, Fotografien und Collagen verdichten sich hier zu einer archaisch anmutenden Szenerie, die einen wahlweise träumen, tanzen, zittern oder erschauern lässt.
Und wie man in einen Raum hineinkatapultiert wird, wird man wieder ausgespuckt in einen neuen und eine weitere absonderliche Parallelwelt, die an der Welt, wie wir sie kennen, rüttelt, sie bearbeitet, verflucht und anfleht.
Hat man je dermassen verstörende Katzenbilder gesehen, die durch Bildmanipulationen zu furchterregenden Fratzen und Monstern mit fletschenden Zähnen und fehlenden Gliedmassen wurden?
Und hat man nun wirklich laut darüber gelacht? Die digitale Bildkultur wird hier zerfleischt, jedoch ohne pädagogische Absicht. Das Lustprinzip ist hier destruktiv und konstruktiv gleichermassen und macht zwischen Schnappschüssen von süssen Haustierchen und aufwändig komponierten Porträts von lebenden und abgelebten Tyrannen zur Freude der Betrachterin keinen Unterschied.
Zerstörungslust und entrückte Traumwelten
Die Lust an der Destruktion und am Spiel mit dem Feuer zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung. Farbflecken, Wasser, Dosen, Sprengkörper und Motörchen werden zum Spielzeug. Etwa in den Kurzfilmen, die wie Reels in sozialen Netzwerken in der Installation «Cinema Panico» über die Grossleinwand flimmern.
Mit mal expliziten, mal impliziten Referenzen an Künstler wie Roman Signer, Peter Fischli und David Weiss wird hier gesprengt, angezündet, verschüttet – alles mit Tempo und unter wohlkomponiert treibender Tonspur. Ein verlegtes Smartphone wird in einem Videoclip zur Ausgangslage für einen tanzbaren Punk-Trash- Song und zum Ohrwurm, und man wünscht sich mehr davon. Rebetez, do MTV for me!
Lärm und Tempo wären aber nicht dermassen wirkungsvoll, würden sie nicht von leiseren Tönen und Stimmungen unterbrochen. Auch diese bedient Rebetez auf wundersame Weise. Gewobene Wandteppiche mit Mensch-Vogelwesen, Keramikskulpturen, Kohlezeichnungen, zauberhafte Malereien und eine begehbare Kapelle schaffen entrückte Traumwelten.
Plakate mit sich selbst entlarvenden Lifehack-Slogans, Neonreklame, ein Blink-Licht-Krokodil, grossformatige Fotografien von seltsam kostümierten, maskierten und geschminkten Menschen, Setzkästen mit morbiden kleinen Tonköpfchen, filigrane Mobiles.
Das im Aargauer Kunsthaus gezeigte Werk ist dermassen vielfältig, dicht und betörend, dass man sich schwer losmachen kann.
Und wenn das Stakkato aus Blitzlichtern einen im stockdunklen Raum mit der dreiteiligen Videoarbeit «Throw your shadows» erfasst, einen die abgehackten Bewegungen von zuckenden Körpern in ihren Bann ziehen, ist das wie ein Wahnsinns-Trip für alle Sinne – alles gleichzeitig.
«We are birds. we cant fly. but we can try» («Wir sind Vögel. Wir können nicht fliegen. Aber wir können es versuchen») heisst der Titel einer Installation aus mit schwarzer Patina veredelten grossen Bronze-Plastiken in einem Aussenraum des Museums. Die Vogelwesen scheinen von ihrem eigenen Gewicht in die Erde gedrückt zu werden und fest am Boden verhaftet, aber wer weiss, sie könnten genauso gut losfliegen – jederzeit. Und wer sagt denn, man könnte nicht mit ihnen mitfliegen?
Rebetez, soviel ist sicher, schafft es, einen physisch einzunehmen und von einem sprudelnden und taumelnden Denken zu erfassen. 100% ansteckend. Wer nicht hingeht, ist selbst schuld!
Fünf Fragen an Augustin Rebetez
Herr Rebetez, Ihre Arbeit befasst sich häufig mit den Widersprüchen unseres alltäglichen Lebens und entlarvt sie. Manchmal wirkt das selbstironisch, lakonisch, manchmal subversiv. Wie würden Sie Ihre Grund-Haltung dazu beschreiben?
Am besten ist es, nicht mit Worten zu beschreiben. Meine Aufgabe ist es, Bilder zu schaffen. Weite Öffnungen für die Interpretation zu lassen. Emotionen transportieren, Träume streifen, auf den Putz hauen.
Mir scheint, hier ist ein spielerischer Geist am Werk. Dies mit einer Tendenz, dorthin zu gehen, wo es ein wenig wehtut, wo die Dinge zu explodieren oder zu implodieren drohen. Worin liegt für Sie der künstlerische Reiz darin?
Meine Arbeit ist ein Vorspiel für die kommende totale Anarchie.
Die Bezüge zum Archaischen, zu Religion und Ritual sind offensichtlich. Hat die Pop-, Internet- und Achtsamkeitskultur die Religion im traditionellen Sinne ersetzt?
Ich bin der Medizinmann des Dorfes. Wie ich in dem Video «Vitamin» am Eingang sage: «Internet is too much for me/it goes too fast/i am too much addicted/it is too much/i have enough of internet/it’s international ok/but i have to internalize all this information/and it’s impossible.» (dt.: «Internet ist zu viel für mich/es geht zu schnell/ich bin zu sehr süchtig/es ist zu viel/ich habe genug vom Internet/es ist international ok/aber ich muss all diese Informationen verinnerlichen/und das ist unmöglich.»)
Einige Ihrer Werke erinnern an Jean Tinguely, Roman Signer, Fischli/Weiss. Sind diese Künstler Vorbilder für Sie? Was inspiriert Ihre Arbeit?
Es sind Schweizer Künstler, alt oder tot, männlich und weiss. Ich weiss nicht, ob sie Vorbilder sind, aber ich bin mit ihrer Arbeit aufgewachsen und schätze sie. Ich weiss nicht, was meine Arbeit inspiriert. Wahrscheinlich viele verschiedene Dinge. Andere Künstler natürlich, aber auch mein Leben, mein Zuhause, meine Gefühle, meine Empfindungen gegenüber der Gesellschaft, meine Blockaden, mein Wunsch nach Veränderung oder Bewegung, meine Dummheit, meine Träume.
In welcher Zeit sind die Werke entstanden? Woran arbeiten Sie derzeit?
Es gibt viele Dinge in dieser Ausstellung, die alle in den letzten fünf Jahren entstanden sind. Derzeit ruhe ich mich auf meinem Sofa aus.
Augustin Rebetez: «Vitamin», bis 29. Mai 2023. Aargauer Kunsthaus, Aarau.